In den letzten Jahrzehnten widmete sich die Wissenschaftsgeschichte einer Vielzahl von Untersuchungsfeldern. Seit einiger Zeit rückt nun auch die eigene Historizität in den Fokus, womit eben jene Geschichten der Wissenschaften selbst zum Untersuchungsgegenstand werden. Der Blick auf ihre Arbeitspapiere und Materialsammlungen zeigt auf, dass kleine Formen aktiv an wissenschaftshistorischen Forschungsprozessen beteiligt waren, deren Rolle bisher aber erst wenig Beachtung fand.
Kleine Formen der Wissenschaftsgeschichte
Diese kleinen Formen zeichnen sich durch ihren instrumentellen oder gar provisorischen Charakter aus, der durch Formalisierungs- und Kompressionsprozesse geprägt ist. Als mobile und flexible Einheiten sind sie aktiv an der Formierung und Vermittlung neuer Wissensbestände involviert, akkumulieren sich etwa zu Sammlungen oder lassen sich zu immer neuen Serien zusammenstellen. Wenngleich diese Untersuchungen noch am Anfang stehen, kristallisieren sich zumindest für das 20. Jahrhundert bereits entscheidende Momente heraus, die es lohnt, näher in den Blick zu nehmen.
Für eine erste Untersuchung soll der Workshop seinen Fokus besonders auf die Kleinen Formen der Wissenschaftsgeschichte richten, die durch Techniken der Verkleinerung, Komprimierung und Isolierung geformt wurden. Also auf Exzerpte, Notizbücher, Lochkarten und Modelle, aber auch Artikel in Enzyklopädien, Zeitschriften oder Handbüchern. Gleichsam sollen die Beiträge aber auch das Potential von kleinen Formen als Untersuchungsgegenstand für wissenschaftshistorische Forschungen verhandeln. Damit gerät ein Quellenkorpus in den Fokus, der sich dezidiert aus kleinen Formen speist, deren Aggregatzustand keineswegs gesetzt ist: Exzerpte verlassen die Notizbücher, zirkulieren als lose Zettel und finden Eingang in Aufsätzen und neuen Methodenentwürfen; Archivalien transformieren mitunter zu Autographen und finden sich letztendlich als Quellenbeleg eines historischen Datums wieder. Aus diesen Beobachtungen kristallisieren sich folgende Leitfragen: Welche Rolle spielten kleine Formen für die Anfänge einer Geschichte und Theorie der Wissenschaften? Welche spezifischen Forschungskontexte und mediale Umwelten boten sie der Wissenschaftsgeschichte? Und welche Funktionen übernehmen sie selbst innerhalb Forschung und Lehre?
Der Blick auf das Kleine soll es ermöglichen, die Geschichten der Wissenschaften entlang der Bahnen ihrer Materialien und Praktiken gerade in jenen Momenten zu beobachten, in denen die Frage, wie man eine Geschichte von Wissenschaften schreibt, neu verhandelt werden. Diesen Aspekten möchte der Workshop anhand exemplarischer Fallbeispiele oder auch theoretischer Zugänge nachgehen und einen Beitrag zum aktuellen Diskurs leisten.
Programm
13. September 2021
15.00–15.15 Uhr: Begrüßung und Einleitung
15.15–17.45 Uhr: Panel 1
Julia Steinmetz (Berlin): In Autographen denken. Gesammelte Geschichte der Wissenschaften um 1900
Mario Wimmer (Basel): Biographeme
Alexander Soytek (Berlin): Theorieschnipsel. Informationstheorie in der französischen Wissenschaftsgeschichte
14. September 2021
09.30–11.00 Uhr: Panel 2
Lotte Schüßler (Berlin): Theaterräume in klein. Beweisen und Ausweisen mit Modellen in der frühen Theaterwissenschaft
Antonia von Schöning (Basel): „Technische Hilfsmittel geistiger Arbeit“: Lochkarten in der Geschichtswissenschaft
11.00–11.15 Uhr Pause
11.15–12.45 Uhr: Panel 3
Friedrich Cain (Wien): Denkkataloge. Versuche zur Ausmessung der Kreativität Warschau (1900–1950)
Sina Steglich (London): Wandernde Worte. Feldnotiz und Reisetagebuch als Formen nicht-sesshaften Denkens
12.45–13.45 Uhr Mittagspause
13.45–14.45 Uhr: Abschlussdiskussion
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Der Workshop wird am 13. — 14. September 2021 an der Humboldt-Universität zu Berlin als Präsenzveranstaltung stattfinden. Wir bitten um Anmeldung unter alexander.soytek[at]hu-berlin.de oder j.steinmetz[at]hu-berlin.de.
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