‚Aufklärung‘ ist nicht nur in der Epoche von Diderot, Hume, Kant, Leibniz, Lessing, Madame de Staël, Robertson, Voltaire, Wieland oder Wolff ein umstrittener Begriff, sondern bis heute ein zentrales Definiendum westlicher Gesellschaften. Nicht zuletzt durch das Aufkommen extremistischer Positionen (Links- und Rechtsradikalismus, religiöser Fundamentalismus) unterliegt die Deutungshoheit über den Kern und die Legitimität von Aufklärung scharfen Debatten. Zu diskutieren ist, ob ‚Aufklärung‘ als Forschungsgegenstand daher dezidiert im Plural gedacht werden muss: im Blick auf die Diversität von Konzepten und Praktiken. Ausgehend von der Epoche der Europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert will die Tagung Diskurse und Praktiken von Aufklärung in den verschiedensten Disziplinen und Feldern bis in die Gegenwart hinein untersuchen und in Relation stellen. Erwünscht sind Beiträge, in denen literarische Texte, mediale Strategien, Diskursbeiträge oder historische Ereignisse aus literaturwissenschaftlicher, theologischer, historischer, medientheoretischer und/oder kulturwissenschaftlicher Sicht auf ihre Reflexion im Kontext der Debatten um Konzepte und Praktiken von Aufklärung untersucht werden.
Bewusst möchte die Tagung zentrale, gleichwohl in nationalen Forschungstraditionen vernachlässigte trans- und interkulturelle Austausch- und Debattenprozesse diskutieren, gerade auch im Blick auf den kolonialen Diskurs in der belletristischen, aber auch theologischen Literatur oder enzyklopädischen und wissenschaftlichen Werken. Dabei sollen alternative Konzepte von Aufklärung sowie die Relevanz von Religion in diesen Prozessen, aber auch die Ambivalenzen, Widerstände und Kontroversen thematisiert werden, die mit der Rezeption europäischer Aufklärung in neuen Kontexten zusammenhängen: etwa Impulse, die durch die Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen entstanden, sowie damit einhergehende problematische Prozesse der Aneignung und Enteignung – gerade dort, wo das Projekt Aufklärung einer spezifisch europäischen Identität zugesprochen wird. Damit verbunden ist die grundsätzliche Frage nach Reflexions- und Exklusionsdiskursen innerhalb der Konstruktion einer europäischen Identität durch den Rekurs auf Aufklärung. Untersucht werden sollen demnach auch die ‚Schattenseiten‘ der Aufklärung mit Fokus auf die Kategorien Gender, Ethnie und Klasse: d.h., die verdrängten Geschichten der Aufklärung, die eine kontrapunktische Moderne darstellen und Hybridisierungsprozesse sowie gegenseitige Transkulturationen aufweisen.
Bewusst nimmt die Tagung ‚Aufklärung‘ als Kampfbegriff in den Blick und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf die Frage, wie die Idee der Aufklärung und die mit ihr verbundene Sprache und Metaphorik eingesetzt worden sind, um bestimmte Konzepte, Strukturen und Praktiken durchzusetzen oder zu bekämpfen. Gerade hier sollen Brücken zu gegenwärtigen Debatten geschlagen werden, denn die internationale, transkulturelle Bedeutung des Aufklärungsbegriffs wird gerade dort deutlich, wo er in einen Gegenwartsdiskurs überführt wird, der die Mündigkeit des Menschen im 21. Jahrhundert neu verhandelt und die Frage nach der Dialektik der Aufklärung (im Anschluss an Horkheimer und Adorno) einmal mehr stellt.
Mögliche Fragestellungen sind u. a.:
- Welche Paradoxien, Spannungsfelder oder Ausschlussmechanismen der Aufklärung sind bereits im 18. Jahrhundert angelegt?
- In welchen kulturellen und medialen Zusammenhängen wird Aufklärung zum „Kampfbegriff“?
-Inwiefern gehört die Re-Aktualisierung der Aufklärung als „Kampfbegriff“ zur Wirkungsgeschichte einer dialektisch verstandenen Aufklärung?
- Wie verhält sich der europäische Kolonialismus zum Projekt ‚Aufklärung‘?
- Welche Strategien werden eingesetzt, um ein bestimmtes Konzept von Aufklärung zu etablieren und durchzusetzen?
- Welche Gründe lassen sich dafür ausmachen, dass spezifische Konzepte von Aufklärung im 18. Jahrhundert wie in der Gegenwart sich nicht etablieren konnten?
- Wie verändern sich Konzepte der Aufklärung im Kulturkontakt, in der interkulturellen Begegnung, fern der Diskurszentren in den geographischen und diskursiven Peripherien, in asymmetrischen Machtstrukturen?
- Welche Medien wurden bzw. werden bevorzugt als Medien der Aufklärung genutzt, welche medienspezifischen Herausforderungen und Probleme standen und stehen heute Aufklärungsprojekten im Weg?
- Wie gehen Aufklärungsprojekte mit der dem Aufklärungsbegriff inhärenten Gegensatz zwischen Aufgeklärten und Aufzuklärenden, mit Narrativen eines Gegensatzes zwischen Eliten und Abgehängten um?
- Wie werden Fortschrittoptimismus und Vernunftglaube im ‚digitalen Zeitalter‘ neu verhandelt?
Anfallende Kosten für die Anreise und die Unterkunft können voraussichtlich übernommen werden.
Bitte senden Sie bis zum 5.4.2020 ein Abstract (deutsch, englisch oder französisch) für einen 25-minütigen Vortrag (max. 1 Seite) sowie einen kurzen wissenschaftlichen CV an folgende E-Mail-Adressen:
j.birgfeld@mx.uni-saarland.de
stephanie.catani@uni-saarland.de
a.conrad@mx.uni-saarland.de
Dr. Johannes Birgfeld
Fachrichtung Germanistik
Universität des Saarlandes
Prof. Dr. Stephanie Catani
Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft / Medienwissenschaft
Universität des Saarlandes
apl. Prof. Dr. Anne Conrad
Institut für Katholische Theologie
Universität des Saarlandes
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